Montag, 20. Juli 2015

Eingeigelt

Was das Internet vom Druck unterscheidet, ist die Möglichkeit der Interaktion. Soll heißen, im Gegensatz zum Papiertext, den man allenfalls mit einer Randbemerkung versehen kann, die freilich sonst niemand zu sehen bekommt, im Internet gibt es die Möglichkeit sich zu Wort zu melden und direkt zu reagieren. Das war zunächst das Neue am Medium was faszinierte und alle Mängel der Technik und Nerverei aufzuwiegen schien.
Der Abstand zwischen Sender und Empfänger verringerte sich, hier erschienen selbst die großen Zeitungen nicht mehr als die bisher unnahbaren Produkte, in denen der Leser möglicherweise mal gnadenhalber einen Leserbrief veröffentlichen durfte. Im Netz erschienen Leser und Produzent plötzlich fast auf Augenhöhe.
Dies brachte Veränderungen mit sich, die naturgemäß nicht allen zusagten und mit denen nicht jeder umgehen konnte.
Man konnte es auch auf den Seiten besichtigen, die den Anspruch von Offenheit hatten und nicht hierarchisch sein sollten. Sogar hier schein es für manch gestandenen noch in der Zeit des gedruckten Flyers und der Parteizeitung aufgewachsenen Linken geradezu eine Zumutung und Kulturschock, daß sich das niedere Demovolk frech zu Wort meldete, anstatt die Aufrufe zu konsumieren, zur Demo zu gehen und ansonsten die Klappe zu halten.
War mehr als manch Linker aushalten konnte und so schrien sie am lautesten (zumindest hätten sie es gerne getan, allerdings kann man im Internet nur sehr eingeschränkt laut werden), abschalten, Portal schließen, zensieren, Commentfunktion abschalten, usw.
Es waren die gleichen Leut, die auf ihren Seiten alle Möglichkeiten interaktiver Beteiligung einschränkten oder gar nicht erst zur Verfügung stellen wollten. Oft sind es politisch dogmatische Seiten oder Seiten mit fragwürdigen Inhalten, wie etwa Verschwörungstheorien oder die Eigenwerbung religiöser Sekten. Hier trifft sie der Hohn und Spott der Netzwelt am empfindlichsten. Dann wenn sie zur unfreiwilligen Lachnummer werden. Das halten sie nicht aus und so kann man es auch feststellen, wenn noch eine Mailadresse angegeben ist, dann ist das bereits ein großes Zugeständnis.
Was haben Betreiber linker Parteiseiten und Verschwörungsspinner gemeinsam?
Sie sind es nicht gewohnt, auf ernsthaften Widerspruch zu stoßen und dann ihre Gewissheiten, Vorurteile und Wahngebilde argumentativ zu verteidigen.
Wer einen Text schreibt, stellt Behauptungen auf, stellt ein Gedankengebäude vor bzw. wirbt für Ideen oder was auch immer. Doch es findet keine Diskussion statt. Ob man einen Flugblatt Text druckt, oder diesen in Html tippt, da ist erstmal niemand da, der sagen könnte, einen Moment mal, was soll denn der Quatsch?
Und genau diesen Frechheiten wollen sich die Prediger und Freunde der traditionellen Einwegkommunikation nicht aussetzen. Daher ziehen sie Konsequenzen und igeln sich auf ihren Seiten ein.
Ein Fall der dies gut beleuchtet, sind die Zeugen Jehovas, deren Webauftritt nur ein Kontaktformular aufweist und das sagt schon was aus. Im direkten Kontakt mit der Webgemeinde schien deren Spott und Hohn den Screen regelrecht geflutet zu haben, man kann es sich lebhaft vorstellen. Ob es so war, ist nicht entscheidend. Möglicherweise ist das der Grund, weshalb deren Webauftritt den der gedruckten Zeitung gleicht.

Offenbar waren die Erfahrungen mit dem neuen Medium nicht so berauschend für religiöse Sekten, da greifen sie doch lieber zu altbewährten Werbemitteln wie den Straßenverkauf des Wachturms. Besser so, denn da macht sich auch kaum wer die Mühe, diese traurigen Gestalten zu beachten.
Dies trifft freilich auch auf autoritär politische Gruppen zu, die das Netz allenfalls dafür nutzen wollen, um ihre Predigt zu verbreiten. Keineswegs ist vorgesehen, ihre in Stein gemeißelten Überzeugungen zur Debatte zu stellen oder überhaupt hinterfragen zu lassen. Ob linke Dogmatiker, Feministen, Szenelinke mit Sprachproblemen oder sonstigen Wahnvorstellungen, die einzig richtige Überzeugung zu vertreten. Man kann schlecht mit ihnen reden, denn sie haben bereits recht und werden stets recht behalten. Der Rest der Welt ist es ja, dem sie die Erleuchtung bringen müssen. Und wenn sie sich doch gezwungenermaßen mal anderen Ansichten aussetzen, dann reagieren sie mit Wut und Hass auf jede Anmaßung, ihre unantastbaren Werte zu hinterfragen.
Hier lassen sich etliche Fälle anführen. Eine stalinistische Partei ist es sicher nicht gewohnt wenn ihr leuchtendes Vorbild kritisiert wird. In ihren gedruckten Veröffentlichungen wäre kein Platz für Kritik und auch auf ihrem Webauftritt kann man kaum erwarten darüber frei zu reden.
Schaut man sich dann den Webauftritt an, ein vorzensiertes Forum, das kaum diesen Namen verdient, ein Kontaktformular möglicherweise und allenfalls Mailadressen, deren Gebrauch eher eine Zeitverschwendung darstellt. Wen würde man da auch erreichen und was soll man schreiben? Was würds bringen? Das ist der interaktive Teil einer ansonsten umfangreichen Seite. Sowas kann man als Einigelung betrachten. Predigen war eben schon immer leichter als sich mit gegensätzlichen Meinungen auseinanderzusetzen. Als ernüchternd erwies sich dabei das Verhalten genau derjenigen, die undogmatisch oder sowas zumindest im Anspruch führten, sich aber was ihre Dogmen betrifft, als nicht weniger engstirnig als die Dogmatiker herausstellten.
Doch was solls? Das www ist nicht die Welt, es bildet sie nur nach und warum sollte es da anders zugehen als im echten Leben? In der Druckwelt kann man ja auch den Unsinn ignorieren und muß es auch. Man kann nicht alles lesen. Online ist das nicht anders.